Fürstliche Repräsentation

Teaser_Schloss
Weg des Fürsten vom Schloss zum Dom (Modell: P. Sevlik / C. Kröber, 2014)
Nur knapp fünf Gehminuten ist der Freiberger Dom vom Schloss entfernt und wird auch durch diesen Umstand geadelt: Eigentlich wohl Burgwardkirche, also eine Kirche innerhalb eines von einer Burg beschützten Herrschaftsgebietes ohne kirchenrechtliche Bindung an den Fürsten, avancierte St. Marien zu einer Art außerhalb vom Schloss Freudenstein gelegenen Schlosskirche, was an vielen Elementen der fürstlichen Repräsentation im Kirchenraum sichtbar wird. Folglich gehören Schloss und höfische Kirche spätestens ab dem 15. Jahrhundert als Ensemble auf das Engste zusammen.

Text: S. Schwarz
Fotos: K. Wieczorek
Visualisierung: P. Svedlik, C. Kröber

Gliederung

1. Schloss Freudenstein
2. Südturm von St. Marien
3. Der gut sichtbare Fürst auf der Westempore
4. Private Teilhabe des Fürsten im Osten
5. Die Nordempore als Reaktion auf die Reformation
6. Der Dom als Palimpsest
7. Vom Dom über das Schloss zum Obermarkt
8. Literatur

1. Schloss Freudenstein

Nach den gewaltigen Silberfunden in Christiansdorf ließ Markgraf Otto von Meißen im Jahre 1168 eine Burg zum Schutz der Landschaft errichten, die in den folgenden Jahrhunderten erweitert, im Stil der Renaissance neu errichtet (1566-1577), im Siebenjährigen Krieg gestürmt (1762) und umfunktioniert wurde. Ab 1784 diente das Gebäudeensemble als Magazin, wovon die kleinformatigen Speicherfenster heute noch Zeugnis geben. 1800 wurde es als ein Getreidespeicher für die Stadtbevölkerung umgebaut und während der napoleonischen Besatzung das Schloss als Lazarett für knapp 1500 Verwundete umgenutzt. Von 1980 bis 1990 erfolgte eine Teilrekonstruktion im Stil der Renaissance; zwischen 2005 und 2008 die Entkernung von Gebäudeteilen, um fortan das Bergarchiv und die Ausstellung terra mineralia zu beherbergen.

Die Geschichte des Schlosses ist eng mit der der albertinischen Linie der Wettiner verbunden. So wählte Heinrich der Fromme (1473-1541) im Jahre 1505 nach dem ‚Brüderlichen Vertrag‘ mit Georg dem Bärtigen, in dem er auf die Regierung über das vom Vater geerbte Friesland verzichtete und sich mit den Ämtern Freiberg und Wolkenstein begnügte, Freudenstein als Residenz. Er bescherte der durch Siberfunde reich gewordenen Stadt fürstlichen Glanz. Ein besonderer Höhepunkt mag die Hochzeit Heinrichs mit Katharina von Mecklenburg im Jahre 1512 gewesen sein, die ihm vier Kinder – darunter Moritz von Sachsen – schenkte und die Lehren Luthers nahebrachte. 

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2. Südturm von St. Marien

Die fürstliche Familie teilte in St. Marien nicht denselben Raum wie das Volk, sondern ihr war eine erhobene Position entsprechend der Ständehierarchie einfaches Volk – Adel) beschieden. Diese Vertikalität lässt sich als soziale Hierarchie auch an der Architektur des Domes ablesen. (Heilige – Fürst/Prediger – Volk). Im einmalig ausgestellten Südturm führte eine breite und aufwendig gestaltete Zeremonialtreppe das Fürstenpaar auf die Empore. Sie ist Indiz dafür, dass an der Stelle der Silbermann-Orgel, die von 1710 bis 1714 auf der Westempore errichtet wurde, sich früher der Ehrenplatz des Fürsten befand. Im  Dom selbst ist keine weitere Treppenanlage dieser Güte vorhanden; lediglich enge Wendelsteine führen auf die Empore. In anderen sächsischen Kirchen sind vor 1500 solche repräsentativen Treppen- und Emporenanlagen noch sehr selten. 

Grafik: Emporen
Übersichtplan: Emporen im Freiberger Dom, nach: H. Magirius 1972, überarbeitet: K. Wieczorek 2014

Zeremonialtreppe
Zeremonialtreppe mit aufwendigem Zellengewölbe im Südturm (Foto: K. Wieczorek, 2014)

Im Meißen stand mit dem Großen Wendelstein der Albrechtsburg und der Lettnertribüne im Dom eine ähnliche Repräsentationsarchitektur zur Verfügung, die Schloss und Kathedrale hier sogar noch enger verklammerte als dies in Freiberg möglich war. Die Prager Hofkunst unter Kaiser Karl IV. dürfte wichtige Impulse geliefert haben. Reste einer recht unbekannten Zeremonialtreppe blieben bspw. auch in der Divi-Blasii-Kirche in Mühlhausen erhalten.

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3. Der gut sichtbare Fürst auf der Westempore

Die Gestaltung der Zeremonialtreppe lässt erahnen, wie der Fürst mit seinem Gefolge erhaben die Treppe emporstieg und die umlaufende Empore entlangschritt. Die durchbrochene Maßwerkbrüstung zeugt von höchster Kunstfertigkeit. Der Weg verlief oberhalb des anwesenden Volkes, das seinen Blick der Hierarchie gemäß zum Herrscher emporhob. Die Treppe ist steingewordenes fürstliches Selbst- und Herrschaftsverständnis; sie läutet in der räumlich-vertikalen Vorstellung der mittelalterlichen Ständegesellschaft, in der sich der Adel über dem Volk befindet, aber Diener Gottes bleibt, eine neue Ordnung ein. Sie bietet dem Fürsten standesgemäßen, erhöhten Raum, um seinen hoheitlichen Habitus in gebührender Weise zu entfalten, der für Herrschaft im Mittelalter unerlässlich war. Jene basierte auf der Sichtbarkeit des Herrschers, die durch Insignien, Wappen, Fahnen, Farben, Zeremonielle, Schmuck, Läuteordnungen  und eben durch Architektur ausgestellt wurde. Die Empore eröffnet einerseits bei Anwesenheit des Fürsten einen durch Erhabenheit betonten Aktionsraum für ein sehr spezielles, streng restringiertes Personal. Dessen Sichtbarkeit auch vom Publikum außerhalb des Domes garantierte das heutige Westportal, dessen einmalig figurierte Fensterfront den Blick auf den einziehenden Hofstaat freigab, sobald jener die Zeremonialtreppe verließ und die Empore im Westen des Domes betrat.

Orgel & Brüstung
Blick von der Altarempore auf die ehem. Fürstenempore an der Westseite, umgebaut 1710-1714, barocke Orgelempore für Silbermannorgel (Foto: K. Wieczorek, 2014)

Andererseits ist die Empore in Abwesenheit des Fürsten im Sinne der mittelalterlichen Memorialkultur, in der Symbole, Ikonen und Reliquien metonymisch ganze Konzepte in die Gegenwart des Betrachters transzendieren, sein Stellvertreter. Lediglich der Garten Eden des Langhausgewölbes war dem Fürsten auf der Empore übergeordnet. Die Architektur schafft so die Möglichkeit, bei Anwesenheit des Herrschers eine weitere Rezeptionsebene zu eröffnen, die, sobald der Fürst nicht da ist, keine Bedeutung trägt. Wen sieht der Fürst und wer sieht den Fürsten? Diese Fragen sind für die herrschaftliche Inszenierung und Repräsentation in der Öffentlichkeit etwa im Rahmen von Prozessionen oder auch im Kirchenraum sinnstiftend. Die einzelnen Akteure erhalten so ihren Platz und ihre Funktion innerhalb der Gesamtkonzeption.

Abb.6: Westfassade
Westfassade mit großem Fenster, das den Blick auf den einziehen Hofstaat freigab (Foto: K. Wieczorek, 2014)

Zum dritten wird mit der soziale Hierarchie im Raum aber noch etwas viel Wertvolleres erreicht. Mit der erhöhten Anordnung im Raum wird der Herrscher auch als ranghöher im sakralen Raumverständnis dargestellt. Der Fürst rückt aus der Allgemeinheit der Glaubensgemeinschaft heraus und wird auch in einer dem Himmel zustrebenden Heilshierarchie als höherstehend sichtbar. Nicht wie die Priester durch Weihegrade, sondern durch die göttliche Weltordnung rückt der Fürst näher an Gott und sein Handeln, seine Ausübung von Macht nimmt damit gottgewolltes Wirken in der Welt für sich in Anspruch. Auf diese Weise wird nicht nur Stand sichtbar, sondern Stand und Machtanspruch sakral legitimiert.

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4. Private Teilhabe des Fürsten im Osten

Überdies ermöglichte wohl die Empore im Osten des Langhauses dem Fürsten als Betrachter eine Teilhabe in genau gegensätzlicher Weise: still, andächtig, demütig. An der Stelle unterhalb der Triumphkreuzgruppe bietet sie freien Blick in den Chor des Doms, der dem Klerus vorbehalten war. Von dort konnte der Fürst wie von einer Westempore am Chorgebet teilnehmen. Zu dieser Empore, deren geschlossene Brüstung weichliniges Maßwerk mit Lilienendungen aufweist, gehört auch der nordöstliche kleine Wendelstein, mit gleichen Formen. Wendeltreppe und Lettnerempore bilden gewissermaßen ein entsprechend kleineres Ensemble gemäß der Südturmtreppe und Westempore und entspricht architektonischen Lösungen, wie sich auch in Schlosskapellen wiederfinden: bspw. in den Schlosskapellen von Rochlitz, Gnandstein oder auf der Sachsenburg.

Abb.9: Brüstung der Südempore
Private Ostempore mit Brüstung, vom Chor gesehen (Foto: K.Wieczorek, 2014)

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5. Die Nordempore als Reaktion auf die Reformation

Im Jahre 1536 hielt die Reformation in Freiberg Einzug und gemäß des Grundsatzes sola scriptura rückte das Wort in den Fokus der Liturgie, sodass die Kanzeln enorm an Bedeutung gewannen, während gut von der Empore beobachtbare traditionelle Rituale unwichtiger wurden. Es ist anzunehmen, dass ab etwa 1505/10 der neue Landesherr Heinrich der Fromme nicht nur die sog. Tulpenkanzel anfertigen ließ, sondern möglicherweise auch im Raum einen anderen Ort bevorzugte, um besser an der Predigt teilzunehmen. Vermutlich saß er auf der Nordempore, jenem Ort, dem sich die Kirchenväter auf dem Kanzelkorb zuwenden. Allerdings war die Empore recht hoch und die Kanzel immer noch recht fern. Ab 1537 wurde zur Behebung des Missstandes eine nicht mehr vorhandene Nordempore errichtet, die wohl eine exzellente Sicht auf Altar und Kanzel gewährte. Dies war aber zugleich ein extremer Eingriff in das Raumkonzept des Doms, da sie sich nicht der jetzigen barocken Empore gleich dezent zwischen die Außenpfeiler der Nordwand schmiegte, sondern – so berichtet es Andreas Möller in seiner Chronik – zwischen vier Pfeilern ein komplettes Seitenschiffjoch ausspannte. Folglich rückte der Fürst in das Sichtfeld der Kirchenbesucher und damit in einen beabsichtigten Wirkungszusammenhang mit der Kanzel.  Die nach der Reformation eingeführte feste Bestuhlung, die streng auf Altar und Kanzel ausgerichtet war, verstärkte dies und der Herrscher präsentierte sich nunmehr als Heilsvermittler gegenüber der Gemeinde, wohingegen die Geistlichkeit als dienende Akteure und Sakramentsverwalter an Bedeutung verloren.

Reko_Fürstenempore
Platzierung der alten Fürstenempore (Modell: M. Klieber / F. Knacker / J. Maisel / C. Kröber, 2014)

Da die Nordempore als heilsrelevanter Bildraum, die wir leider nur aus Chroniken kennen, sicherlich auch durch eine Treppe vom Langhaus aus zu begehen war, verloren sowohl die Zeremonialtreppe als auch Westempore ihre einstige Bedeutung. Auch der Weg des Fürsten zu Anlässen veränderte sich spätestens nach Eintritt durch das Westportal, doch auch der Zugang über die Annenkapelle durch die Goldene Pforte kann nicht ausgeschlossen werden. Hatte der Fürst mit seinem Hofstaat seine neue Empore an der Nordwand des Domes besetzt, war er für das anwesende Volk gut sichtbar. Wichtig ist auch zu wissen, dass sich auf der Empore ein zusätzlicher Altar befand, an dem der Fürst das Abendmahl in beiderlei Gestalt erhielt. Dieses Altarsakrament in erhöhter Position war für jeden gut sichtbar und so erschien der Fürst für jedermann als sinnbildliche und zugleich aktive Verkörperung der lutherischen Lehre, als christliches Vorbild, als Leitfigur, Träger und Heilsvermittler des neuen Glaubens. Diese Vorbildhaftigkeit und Mittlerfunktion wurde dann über das Maß der vorgelebten Wirklichkeit hinaus so wertvoll erachtet, dass es zum Bildinhalt des neuen Altares wurde, der ab 1560 den alten katholischen Kreuzaltar ersetzte. Auf dem Tafelbild ist zu sehen, wie die fürstliche Familie das Abendmahl empfängt. Der Fürst als Heilsvermittler lebte so gut sichtbar den Glauben vor. Seine priorisierte Rolle wurde durch die Architekturräumlichkeit und Bildhaftigkeit eher bestärkt, vorstellbar und verständlich und damit legitimiert und dauerhaft manifestiert.

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6. Der Dom als Palimpsest

Anhand der Emporensituationen und ihrer Veränderungen im Laufe der Zeit lassen sich sowohl Verweis- als auch Palimpsestcharakter des Domes nachvollziehen: Soziale Situationen, Bedürfnisse und liturgische Grundsätze werden in die Architektur eingeschrieben; Veränderungen in diesen Gefügen haben deutbare Konsequenzen in den Raumdispositionen. So verlor die erste Empore, die das Langhaus umschloss, im Zuge der Reformation ihre Funktionen – als Podest zur Unterstreichung der fürstlichen Präsenz anlässlich großer Feste im Westen und als Tribüne zur stillen Teilhabe am Chorgebet. Die nicht mehr erhaltene Empore im Nordschiff ist der architektonische Ausdruck für das Bedürfnis des Fürsten nach einer standesgemäß klar abgegrenzten, zugleich heilswirksam neu integrierenden Räumlichkeit. So gewährleistete sie, dass der Fürst als wichtiger Mitwirkender an der Emanation des göttlichen Heils für alle gut sichtbar und glaubhaft wurde. Die noch heute existierende barocke Empore scheint in ihrer baulichen Beschaffenheit wohl nur noch dem Bedürfnis nach Sichtbarkeit Folge zu leisten, denn eine liturgische Mitwirkung bzw. Heilsaktivität ist wegen des knappen Raumes kaum denkbar: Zudem war eine Vorbildrolle und Leitfunktion des Fürsten, wie sie vor dem Augsburger Religionsfrieden hochnotwendig war, innerhalb einer inzwischen anerkannten und gefestigten evangelischen Konfession nicht mehr erforderlich.

Der Platz, den das Herrscherpaar im Dom findet, ist dementsprechend nicht zufällig oder lediglich vom Drang zur Repräsentation geprägt, sondern kündet von der Wichtigkeit der Fürsten als lebendige Akteure in der heilsgeschichtlichen Gesamterzählung des Domes, die sich gemäß der dogmatischen Umbrüche ändert. Dass Architektur dabei nicht statische und unabänderliche Kulisse bleibt, lässt der Wandel der Emporensituation gut erkennen.

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7. Vom Dom über das Schloss zum Obermarkt

Der Weg vom Untermarkt an Dom und Schloss vorbei hin zum Obermarkt war insbesondere für Prozessionen an kirchlichen Feiertagen bedeutsam. Quellen berichten, dass sich der Festzug „im Thume“ (im Dom) gesammelt habe und „ist die ganze Priesterschaft in ihrem Meßgeräte zum schönsten geschmückt den ersten Tag mit auf den Markt gezogen, da man auf einem aufgeschlagenen Palaste öffentlich agieret hat und alles sehr ansehnlich und prächtig zugegangen“[1] . Den hier erwähnten pompösen Freiberger Passionsspielen wohnte auch der Fürst bei. Die Spiele wurden bis 1523 als dreitägiges Spektakel aller sieben Jahre aufgeführt.[2] Sie fanden unter vielen Zuschauern auf einer Bühne, die auf dem Obermarkt errichtet wurde, statt. Andreas Möller, einer der wichtigsten Chronisten Freibergs berichtet, dass eine bedauernswerte Dame einige Zeit entblößt in der Luft hing, weil eine Tribüne vorm Schloss zusammenbrach: „So soll auch am Pallast ein Bret / darauff eine Jungfraw gestanden / gebrochen und dieselbe eine gute weile mit grosser ärgernis bloß gehangen haben."[3]

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[1] gefunden in Bohmer, Schriften zur Theaterwissenschaft, S. 499

[2] Neumann, Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit, S. 326-337

[3] Möller, Theatri Freibergensis Chronici, S. 178f.

8. Literatur

  • Rolf Bohmer, Schriften zur Theaterwissenschaft. Band II, Berlin 1960.
  • Heinrich Douffet/Uwe Richter/Ulrich Thiel, Schloss Freudenstein in Freiberg. Die Herausbildung der Stadt Freiberg und die Anlage der Burg, in: Sächsische Heimatblätter. Bd. 54, Nr. 2, Dresden 2008, S. 172-184.
  • Andreas Möller, Theatri Freibergensis Chronici. Beschreibung der alten löblichen Bergkhauptstadt Freyberg in Meissen, Freiberg 1653.
  • Andreas Möller, Theatrum Freibergense Chronicum. Beschreibung der alten löblichen BergHauptStadt Freyberg in Meissen. Darinnen des reichen Herrlichen Silber-Bergwercks, und der Stadt uhrsprung, Gelegenheit, Gebäwde, Privilegia, Regenten und Beampten/ …, Freiberg 1653a.
  • Bernd Neumann, Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit. Zur Aufführung mittelalterlicher religiöser Dramen im deutschen Sprachgebiet. Band 1, München 1987.

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