Moritzmonument und Nossenichor

Teaser
Blick in den Chor von der Empore (Foto: K.Wieczorek, 2014)
Am Gitter zum Chor beginnt das Finale der Domerzählung. Im geschlossen Zustand des Gitters wird schon hier deutlich: Nicht alle haben am Ende der Geschichte die gleiche Rolle inne.

 

Text: C. Storz, F. Schmidt, J. Kruse
Fotos: M. Galinsky, J. Kruse, F. Schmidt, K. Wieczorek
Visualisierungen: J. Kruse, F. Schmidt

 

Gliederung

1. Das Finale
2. Was geschieht am Ende einer Erzählung?
3. Gitter
4. Südkapelle
5. Nordkapelle
6. Moritzmonument
7. Die kurfürstliche Begräbniskapelle

1. Das Finale

1537 wurde Freiberg unter Fürst Heinrich dem Frommen reformiert und der Dom zu einer evangelischen Kirche. Der Stiftschor des Domkapitels verlor seine Funktion. Es entstand eine Leerstelle, die zwischen 1555 und 1594 durch Moritzmonument und Nosseni-Chor und die Ausgestaltung der Seitenkapellen überschrieben wurde. Die Domerzählung erhielt so ein neues Ende. Die Hauptrolle im großen, nunmehr eher dynastisch als liturgisch bedeutsamen Finale spielten fortan die Fürsten, allen voran Kurfürst Moritz, dessen prunkvolles Erinnerungsmal das Zentrum des Chors ausfüllt. Entworfen wurde das Monument von den Brüdern Thola; Auftraggeber war Kurfürst August, der seinem gefallenen Bruder Moritz ein aussagekräftiges Ehrenmal setzen wollte. Das Monument erzählt die Geschichte von Moritz‘ Leben als Heldensage. Auf der höchsten Stufe kniet Moritz selbst, auf seinen Schultern ruht das kaiserliche Kurschwert. Denn dies war sein größtes Verdienst: Ihm war es gelungen, die Kurwürde für die Familie der albertinischen Wettiner zu gewinnen. Er ist Stammvater der kursächsischen Albertiner und Gründerfigur ihres neuen herrschaftlichen Selbstverständnisses.

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Kurfürst Moritz auf dem Moritzmonument (Foto: K. Wieczorek, 2014)

Nach dem Tod Friedrichs II., einem Vorfahren von Moritz und August, war das Fürstentum Sachsen 1485 unter dessen Söhnen Ernst und Albrecht aufgeteilt worden. Die Kurfürstenwürde stand dem älteren Ernst zu und wurde in der ernestinischen Linie weitergegeben. Die Albertiner führten dagegen den Herzogstitel. Während Herzog Albrechts älterer Sohn Herzog Georg katholisch blieb, schloss sich der jüngere Sohn Heinrich der Fromme den Protestanten an und setzte in seiner Herrschaft Freiberg die Reformation durch. Heinrichs Sohn Moritz war also Protestant. Dennoch stellte er sich 1546 auf die Seite des katholischen Kaisers und unterstütze den Kampf gegen die evangelischen Fürsten. Zum Dank erhielt er die Kurwürde, die so auf die albertinische Linie überging. Die Wichtigkeit dieses Amtes und die politische und konfessionelle Brisanz des Bündnisses mit dem katholischen Kaiser lassen sich im Chor deutlich ablesen. Überall finden sich herrschaftlich-dynastische Zeichen, die im Wechselspiel mit sakralen Symbolen stehen. Dieses Wechselspiel bildet das Hauptthema im Finale der Domerzählung.

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2. Was geschieht am Ende einer Erzählung?

Der Beginn einer Schlusssequenz wird in den meisten Fällen deutlich markiert – im Dom übernimmt dies das Gitter: Es eröffnet das Kapitel, das sich aus Seitenkapellen, Monument und Chor zusammensetzt. Für einen Erzählschluss typisch ist, dass auch am Ende der Domerzählung Parallelen zum Anfang der Geschichte hergestellt werden. Versteht man die Goldene Pforte als Einleitung, sind zahlreiche Elemente dieses Anfangs auch im Schlussteil zu finden: der auferstandene Jesus, die Löwen als Wächter, die Propheten als Verkünder des Heils. Auch das Verknüpfen verschiedener Handlungsstränge aus dem Verlauf der Erzählung vollzieht sich im Domfinale. So wird hier der mächtige Erzählstrang der Fürsten im Dom, welcher an der Fürstenempore entlang als Subtext verläuft, mit dem übergeordneten Handlungsstrang, der Heilsgeschichte, verwoben.

Eine Geschichte endet meist mit der Lösung des Konflikts und der Erfüllung des Schicksals der Hauptfiguren. Im vormodernen Erzählen geschieht dies selten überraschend oder offen. Stets steht das Ende schon am Anfang fest: Der Held gewinnt immer die schönste Frau, den Sieg und die Ehre. Auch das Ende der Domerzählung wurde schon in der Goldenen Pforte vorweggenommen: Jesu Auferstehung im göttlichen Himmelreich muss den Abschluss der Geschichte bilden. Ein Blick nach oben in das Chorgewölbe zeigt dieses erwartete Ende: Jesus thront im Himmelreich über allen. Allerdings gibt es im Finale des Freiberger Doms eine unerwartete Wendung: Die schon im Laufe der Erzählung immer wieder aufgetretenen Fürsten übernehmen jetzt die Hauptrollen. Ihr Eintritt ins Reich Gottes wird uns im Finale erzählt.

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3. Gitter

Die eigentliche Funktion des Chorraums ist die Abgrenzung der Geistlichen von der Gemeinde. Deutlich wird, dass im Mittelalter die Nähe zu Gott strikt hierarchisch geordnet war: Nicht jeder konnte Gottes Wort im gleichen Maß verstehen und Zugang zum Heil bekommen; es bedurfte der Vermittlung: die Fürbitte der Heiligen und/oder der Liturgie der Geistlichen.

Eine reformatorische Idee bestand darin, diese Vermittlerrolle kirchlicher Würdenträger abzuschaffen und jedem unmittelbaren Zugang zu Gott und zum Heil in Aussicht zu stellen. Indem sich nun die weltlichen Herrscher durch ihre Grablege in dem exklusiven Kirchenteil der ehemaligen Kleriker positionieren, übertrugen sie gewissermaßen deren heilsvermittelnde Hierarchie auf ihre Rolle als Territorialfürsten, als zentrale Akteure einer neu gewonnenen Weltordnung. Diese Ordnung nutzte bestehende Räume und Grenzen; man musste nun die neuen Inhalte aber sichtbar und verständlich machten. Das trennende Gitter ist daher blickdurchlässig, denn die Inszenierung der Fürsten im Chorraum bliebe ohne Zuschauer ohne Wirkung.

Der hinter dem Gitter befindliche  Chor des Freiberger Doms gliedert sich in vier Räume: die Südkapelle, die Nordkapelle, den Vorchor mit dem Monument und den Nossenichor. Jeder dieser Räume folgt einer gemeinsamen Grundidee, die formal erweitert bzw. mit Hilfe unterschiedlichster architektonischer und bildlicher Elemente fortgeschrieben und ausformuliert wird.

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Moritzmonument von der Südempore gesehen (Foto: F. Schmidt, 2014)

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4. Südkapelle

Die Südkapelle diente vor der Reformation als Marienkapelle. Maria spielte als Mutter Gottes und Mittlerin zwischen den Menschen und Gott eine zentrale Rolle. Durch sie wurde Gott in Christus zum Menschensohn.

Martin Luther erklärte in seiner Lehre, dass die Gläubigen keine Heiligen als Fürsprecher benötigen, um mit Gott in Kontakt zu treten. Dies führte zu einem Bedeutungsverlust Mariens in der reformierten Kirche und zum Verschwinden zahlreicher Altäre aus den Kirchenräumen, auch wenn ihre Bedeutung als Gottesmutter fortbestand. Es ist davon auszugehen, dass die Südkapelle, in deren Gewölbescheitel ein Marienschlussstein zu finden ist, einst einen Marienaltar besaß. Das Gewölbe der Südkapelle war bereits vor oder um 1500 im Zuge der Neuerrichtung des Domlanghauses entstanden.

Die Architektur des Raumes wirkt wie ein Baldachin. Dieser Eindruck wird durch die Dienste, die an den Wänden aufstreben und die Wölbung tragen, erzeugt. Die Rippen schließen sich zu einem zentrierenden Sterngewölbe zusammen. Solch himmelsgewölbeartige Baldachine überfangen häufig herausgehobene liturgische Orte.

Folgt der Blick den Wanddiensten hinauf ins Gewölbe, sind dort zahlreiche Wappen zu sehen. Diese Wappen wurden 1547 angebracht. Der zentrale runde Marienschlussstein wurde mit dem großen Wappenschild der gekreuzten Kurschwerter überdeckt. Diese Überformung veränderte die Aussage des Raums tiefgreifend: Sie ersetzt die Rolle Mariens anscheinend durch die gewonnene Kurwürde als neue Rolle der albertinischen Wettiner in der christlichen Weltordnung. Ob seither bspw. auch Marienfeste durch fürstliche Zeremonielle oder dergleichen abgelöst wurden, ist nicht überliefert.

Südkapelle
Schlusssteine am Gewölbe der Südkapelle (Foto: K. Wieczorek, 2014)

Die Umgestaltung der Südkapelle verdeutlicht sowohl die veränderten machtpolitischen als auch konfessionellen Verhältnisse: Die Kurschwerter als Insignien des Erzmarschalls erscheinen als Symbole kaiserlicher Lehenstreue und damit als Zeichen der Zugehörigkeit zur katholischen Liga. Die Überdeckung des Marienschlusssteines mit dem Wappenschild verdeutlich in Opposition aber den Bedeutungszuwachs der Fürsten in der reformierten Kirche. Denn Martin Luther räumt der weltlichen Obrigkeit eine neue theologisch fundierte Stellung in seiner Weltordnung ein. Und indem die Fürsten jene Leerstellen besetzen, die die Heiligen und Geweihten hinterließen, erscheinen sie nunmehr als neue Mittler zwischen Gott und den Menschen.

Die Anbringung der Wappen ist hierarchisch gestaltet: Die untersten Wappen stellen die sächsischen Herrschaften dar, gefolgt von der sächsischen Raute, jenem Wappen des Fürstentums Sachsen, auf das sich die Kurwürde bezog. Zentraler Höhepunkt im Gewölbe ist aber nicht die sächsische Herrschaft als Territorialfürstentum, sondern das Amt des Erzmarschalls, ausgewiesen im Wappenschild mit den gekreuzten Schwertern. Die albertinischen Wettiner präsentieren damit nicht nur ihre Herrschaftsgebiete, sondern legitimieren damit ihren rechtmäßigen Reichsstand im Gefolge des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Und diese Legitimation war insbesondere vor dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 zwingend notwendig, um die eigene Machtposition zu festigen, die letztlich als Grundlage zur Durchsetzung der lutherischen Lehre bzw. der protestantischen Positionen und Konfessionalisierung diente.

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5. Nordkapelle

Dieser Raum wurde in seiner heutigen Erscheinung erst im Zuge der Errichtung des Moritzmonuments in den Jahren 1560/1562 geschaffen. Dafür wurden Wände eingebrochen, Stein- und Grabplatten begradigt bzw. verlegt sowie ein neues Gewölbe eingezogen. Dieses orientierte sich am Gewölbe der Südkapelle. Dennoch unterscheidet es sich von der Südkapellenwölbung: Hier bereichern nicht nur Wappen, Konsolen und Dienste die Gestaltung des Raumes. Auch Krieger, Engel mit Posaunen (oder Zinken?) und Allegorien der vier Erdteile sind figürlich dargestellt.

Nordkapelle
Schlusssteine am Gewölbe der Nordkapelle (Foto: K. Wieczorek, 2014)

Wie schon in der Südkapelle findet auch in diesem Raum eine starke Hierarchisierung statt. Der Raum wird durch Skulpturen und Architekturelemente in verschiedene Register gegliedert. Die unterste Ebene wird durch Putten an den Gewändeecken der Kapelle angedeutet. Sie zeigen an, dass der Raum eine himmlische Sphäre bildet; der weite Arkadenbogen ein Tor.

Engel
Engelfigur in der Nordkapelle (Foto: M. Galinsky 2014)

Die folgende Zone beherrschen vier Krieger, welche jeweils in einer Raumecke auf Konsolen stehen. Sie tragen jene aus der Wand hervortretende Rippen, die das Gewölbe einfassen. Die Krieger wehren die Betrachter mit ihrer Gestik und Mimik ab und verwehren so den Zugriff auf die höheren Sphären. Diese werden durch jene Rippen, an denen sich Engel mit Posaunen befinden, entfaltet. Sie erzeugen einen schwebenden, himmlischen Raum, den der Betrachter nur metaphysisch begreifen kann. Denn über den Engeln entfaltet sich eine weitere Sphäre, die damals bekannte Welt, verkörpert durch die vier allegorischen Darstellungen der Erdteile Europa, Asien, Afrika und Amerika. Diese Anordnung gipfelt schließlich im Gewölbeschlussstein mit dem Allianzwappen der sächsischen Herrschaften, nun nach 1555 mit der sächsischen Raute in zentraler, gefestigter Position in der Mitte der neuen Weltordnung.

Die Art und Weise der Anordnung der Wappen im Schlussstein greift jene der Südkapelle auf. Es lassen sich somit nicht nur anhand der Gewölbefiguration Gemeinsamkeiten zwischen Süd- und Nordkapelle feststellen .Auch anhand der Wappen wird die Verbindung zwischen den beiden Räumen deutlich. Die Skulpturen der Nordkapelle erweitern indes die Aussage der südlichen Kapelle. In diesem Raum wird nicht allein die sächsische Kurwürde gefeiert und gefestigt, sondern diese auch als Kulminationspunkt göttlicher Ordnung präsentiert. Da dem Raum sowohl irdische als auch sakrale Elemente beigefügt wurden, ließ sich der wettinische Machtanspruch erweitern. Dieser bezieht sich auf die Zwei-Reiche-Lehre von Martin Luther, die besagt, dass es keine strikte Trennung zwischen der irdischen Welt und dem Reich Gottes gibt. Und der Raum greift eine Weltvorstellung auf, wie sie auch Sebastian Münster in seiner Cosmographia universalis für das Kaiserreich visualisierte; hier nun in der Nordkapelle übertragen auf das sächsische Kurfürstentum gewissermaßen als Cosmographia Saxoniae.

Der Machtanspruch der Wettiner erstreckt sich – das wird anhand der Raumgestaltung deutlich – nicht nur auf das eigene Herrschaftsgebiet, sondern auf die ganze Welt sowie das himmlische Reich. Diese Ambition wird durch die Kurwürde, welche die Wettiner besitzen, als göttlicher Wille legitimiert. Die vier Krieger in den Ecken der Nordkapelle dienen nicht nur als Wächter, um die Betrachter mit ihren grimmigen Blicken und gefährlichen Waffen einzuschüchtern; sie dienen auch als Betrachtungshilfe für die Wahrnehmung des Chors. Ihre Blicke leiten den Betrachter weiter zum zentralen Kunstwerk des Chors, dem Moritzmonument.

Krieger
Krieger in der Nordkapelle (Foto: K. Wieczorek, 2014)

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6. Moritzmonument

Das Moritzmonument im Freiberger Dom feiert den ersten albertinischen Kurfürsten Moritz von Sachsen, dem es im Jahr 1547 gelang, die Kurfürstenwürde für sein Haus zu sichern. Es gilt als eines der ersten Freigräber in Deutschland und nimmt auch in Hinblick auf Typologie und Ikonografie eine herausragende Stellung ein. Moritz erscheint hier als charismatische Gründerfigur einer neuen Dynastie. Kurfürst August, der jüngere Bruder von Moritz, der nach dessen Tod die Herrschaft in Sachsen übernahm, war sich der Rolle seines Bruders für die albertinischen Wettiner bewusst und ließ deshalb dieses Monument in Freiberg errichten.

Nachdem Kurfürst Moritz am 11. Juli 1553 an den Wunden einer Schussverletzung verstorben war, wurde er wie sein Vater, Herzog Heinrich, in schlichter Weise zur Erde im Dom bestattet.

Zwei Jahre später, 1555, wurden die beiden ‚welschen Maler‘, die Gebrüder Benedict und Gabriel Thola nach Freiberg gesandt, um einen Plan für ein Grabmonument anzufertigen. Veränderungen während der Planung und Verzögerungen in der Bauzeit führten letztlich dazu, dass das Monument erst im Jahr 1563 fertiggestellt wurde.

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Moritzmonument aus der Südkapelle gesehen (Foto: K. Wieczorek, 2014)

Über drei Stufen erhebt sich das Moritzmonument aus schwarzem Marmor als zweigeschossiges, in rotem, schwarzem und weißem Marmor gearbeiteter Kenotaph. Auf dem mehrgeschossigen Sockelbau stehen Greifenfiguren, die mit ausgebreiteten Flügeln die sarkophagähnliche Deckplatte tragen, auf dem die Figur des Kurfürsten vor einem Kruzifix kniet. Auf der obersten der drei Stufen des Monuments sitzen zwölf kleine, teils weinend dargestellte Frauenfiguren aus Alabaster mit Tafeln und Büchern. Es sind die neun Musen und drei Grazien. Das untere Geschoß ist nach der dorischen Ordnung gegliedert. An den Längsseiten befinden sich vier, an den Schmalseiten drei Doppelsäulen aus rotem Marmor. Die Säulenpaare flankieren die schwarzen Felder mit vergoldeten lateinischen Inschriften. Sie künden vom Leben und den Taten des Kurfürsten. In den hochrechteckigen Säulenrücklagen sitzen zwischen den Pilastern weiße Felder mit allegorisch-emblematischen Darstellungen. Hier sind die Künste, Wissenschaften, aber auch Jagd, Kriegs- und Gartenkunst charakterisiert. Sie stellen die Interessen und Fähigkeiten des verstorbenen Kurfürsten dar. Über den Säulen leiten Voluten zum etwas eingezogenen Obergeschoss über. Vor ihnen stehen Kriegerfiguren aus Alabaster in antikischer Rüstung mit Streitkolben und Wappen. Das ebenfalls mit Schrifttafeln besetzte obere Geschoß schließt durch ein dunkles Gesimsband mit weißer Frauenkopf-, Medusenhäupter- und Pfeifenornamentik ab. Über dem Gesims befinden sich Greifen, die die antikisch geformte Deckplatte tragen. Auf ihr sitzen acht Engelputten. Sie halten Wappenschilde und Kriegsgerät. An den Ecken hocken vier sich die Brust aufreißende Pelikane mit ihren Jungen. Auf dem Deckel kniet, nach Osten gewendet, der Kurfürst vor einem hoch aufragenden Kruzifix. Die kniende Figur ist aus Alabaster gearbeitet.

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Moritz-Figurine im Harnisch und antike Krieger auf dem Moritzmonument (Foto: K. Wieczorek, 2014)

Sowohl mythologische Motive wie die weinenden Musen und Grazien, die Krieger in antikischen Rüstungen, Medusenhäupter und Stierschädel als auch christliche Symbolik wie Kruzifix, Putten und Pelikane, die mit ihrem Blut Junge säugen, lassen die Verschränkung humanistischer und heilsgeschichtlicher Weltvorstellungen am Monument erkennen. Damit folgt das Programm des Moritzmonument jener in der Nordkapelle begonnenen Weltgeschichte mit herausgehobener wettinischer Rolle. Dass es sich bei dem Monument tatsächlich um die epische Ausformulierung der eher emblematisch gestalteten Nordkapelle handelt, wird durch den Aufbau deutlich. Die Register und Hierarchisierung der Nordkapelle stimmt auffällig mit der Gliederung des Monuments überein, denn auch hier erscheinen übereinander Krieger, Engel, Putten und Wappen. Blickt man von der Südkapelle aus auf das Monument und die dahinter befindliche Nordkapelle, werden die Übereinstimmungen ersichtlich und man erkennt, wie das Monument die Nordkapelle mit Hilfe renaissancener Architektur und Skulptur neu ausformuliert. Das Monument erscheint so als Füllkörper zur Hohlform der gewölbten Kapelle – die Inschriften und Figuren des Monuments als Fülle tugendhafter Eigenschaften und Ereignisse im Dienste einer (für katholisch vorgeprägte Bildbetrachter vielleicht pseudosakrale, für Protestanten nunmehr legitime) Kanonisation der Taten des Kurfürsten Moritz zur ‚Heiligung‘ der überweltlich agierenden Gründerfigur.

Das Grabmal von Kurfürst Moritz war zunächst als Einzelmonument konzipiert. Drei Jahrzehnte später wurde es in einen übergreifenden ikonographischen Zusammenhang gebracht, indem Moritz’ Verdienste als causa prima einer auf lange Dauer angelegten albertinischen Ruhmesherrlichkeit neu gefasst und versinnbildlicht wurde.

Abb.1
Begräbniskapelle aus der Südkapelle gesehen (Foto: J. Kruse, 2014)

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7. Die kurfürstliche Begräbniskapelle

Durch ein Rankengitter geschieden, scheint der letzte Raumteil allein durch seine Lage und Abgeschlossenheit einer ganz besonderen Nutzung vorbehalten. Hier, im östlichen Abschluss der Kirche, befindet sich die neue Begräbniskapelle der wettinisch-albertinischen Kurfürsten. Sie wurde vom Hofkünstler Giovanni Maria Nosseni entworfen und 1591-94 zusammen mit dem Bildhauer Carlo di Cesare ausgestattet. Die ursprüngliche Ausstattung des Raumes, die der früheren Nutzung als Standort des Hauptaltars entsprochen haben muss, wurde dabei von einer prächtigen Architekturkulisse aus sächsischem Marmor überblendet. Diese Ausgestaltung bedient sich der Formensprache des Moritzmonuments.

Abb.2
Begräbniskapelle (Visualisierung: J. Kruse, 2014)

Dadurch wird die Verwandtschaft und Nähe der Fürsten in der Grabkapelle mit Moritz und seinem Erfolg, der Erringung des Kurschwertes, bekundet. Die Anordnung der Fürstenfiguren in aufeinander folgenden Wandnischen erweckt den Eindruck einer Ahnengalerie. Doch nicht nur Material, Farben und die knienden Gestalten postulieren einen engen Zusammenhang zum Moritzmonument – auch in der Architektur wurden Elemente des Kenotaphs aufgenommen, variiert und gesteigert, um sowohl die Familienbande, den weiteren Aufstieg und das neu gewonnene Selbstverständnis der Albertiner abzubilden. Die Blendarchitektur teilt sich in drei große Zonen. Im unteren Abschnitt befinden sich die von Säulen gerahmten Fürstenfiguren und lateinische Schrifttafeln. Darüber liegen ein weit vorspringendes Gesims sowie große, von Engeln gehaltene Wappenkartuschen. Ein weiteres Gesims mit kleineren Wappen grenzt die obere Wandzone ab, in der Propheten aus dem Alten Testament in Nischen stehen. Darüber schließt die Wandverblendung mit einem vielstufigen Hauptgesims ab, auf dessen Kanten sich Putti mit Musikinstrumenten befinden. Die zuoberst aufgespannte Decke zeigt die Wiederkunft Christi zum Jüngsten Gericht.

Abb.3
Gewölbe im sog. Nossenichor (Foto: J. Kruse, 2014)

Im Bezug zum Allerhöchsten agieren die knienden Wettiner: Sie wiederholen die Haltung von Kurfürst Moritz, beziehen sich nun aber auf den Altar bzw. Christus im Chorscheitel. Diese Analogie wird durch die Architektur verstärkt: So wie die Deckplatte durch die Voluten und geflügelten Wesen als schwebend erscheint, scheint auch die Sockelformation der unteren Säulenstellung ohne feste Bindung zum Boden: Die Säulen stehen nicht auf Postamenten, sondern geschwungene Formen erzeugen einen eher schwebenden Eindruck.

Auch andere Motive werden wiederholt, etwa Früchte, Wappen, Löwenköpfe oder Tierschädel. Teilweise verstecken sie sich in kleinen Kartuschen an der Grenze zum mittleren Wandbereich. Je tiefer man sich in die Betrachtung der Raumdetails versenkt, desto mehr dieser subtilen Berührungspunkte zwischen Grabkapelle und Moritzmonument kann man entdecken. Die Fülle der formalen Parallelen lässt den Schluss zu, dass das untere Architektur- und Figurenregister des Nossenichors die letzte und oberste Erzählebene des Moritzmonuments aufgreift. Moritz bildet als Stammvater den Ausgangspunkt für die räumlich und zeitlich entwickelte Familien- und Erfolgsgeschichte. Ausgehend von dieser dynastisch-historischen Erzählung wird deutlich, dass dann die östlichen und vor allem die oberen Raumzonen des Chores als ausführlicher Überbau, als Kommentar des familiären Fundaments und Weitererzählung der begonnenen Geschichte zu verstehen ist.

Abb.3
Kurfürst August im sog. Nossenichor und Kurfürst Moritz auf dem Moritzmonument (Foto: J. Kruse, 2014)

Die Erzählung lässt sich zudem in mehrere Richtungen lesen: Horizontal zeigt das mächtige Gesims über den Fürsten und Fürstinnen einen räumlichen Zusammenhang mit den östlichen Teilen und Figuren an. In den Nischen stehen dort aber personifizierte Tugenden, sodass in der umgekehrten Leserichtung die Wettiner selbst als Personifikationen der Tugenden wirken. Da die Tugenden aber in einer doppelten Zone übereinander angeordnet wurden, wirken diese in ihrer Gesamtheit wiederum als räumlich entfaltetes Retabel als Rahmung für die zentrale Darstellung des auferstandenen Christus im Chorscheitel, in Gänze als allegorisch-christliches Leitbild und Frontispiz des Gesamtzusammenhangs.

Zur räumlich entrückten Christusfigur gehören auch die seitlich angeordneten Propheten im oberen Wandregister. Die Architekturgliederung mit den Voluten deutet an, dass sich die Propheten in einem Raum befinden, der zunächst in der Vertikalen nicht als Obergeschoss der Fürstengalerie, sondern als übergeordneter, hinterer, entfernter Bereich zu verstehen ist. So wie die Fürstenpaare gegenüber dem Betrachter entrückt wirken, erscheinen die Propheten gegenüber den Fürstenpaaren als entrückt. Zwischen den irdischen Herrschern und den biblischen Propheten wird durch ein besonders weit hervorspringendes Gesims zwar eine Trennung formuliert. Durch die Platzierung prächtiger Wappen im Zwischenregister ist diese Trennung jedoch nicht konsequent. Als Attikazone der Fürstengalerie mit ihren aufragenden Wappen und Engeln ragt sie weit in die Prophetenzone hinein, sodass die Propheten gegenüber dem Betrachter wiederum als Erzähler, als Verkünder und Zeugen der wettinischen Rolle in der neuen Weltordnung und Heilsvorstellung auftreten. Auch die dynamischen Voluten, die über dem Gesims ansetzen, offenbaren einen flüssigen Übergang anstatt einer klaren Abgrenzung. Dadurch gewinnen die Figuren der Fürsten einen durchgängigen Bezug zum an der Decke dargestellten Jüngsten Gericht, das die Propheten des Alten Testaments vorausdeuteten. Hier wiederholt sich die Anordnung: Der Himmel wirkt gegenüber der Prophetenzone entfernt, jedoch zeigen die musizierenden Engel an, dass die obere Architekturzone in den Himmel ragt und gewissermaßen den geöffneten Himmel einfasst.

Abb.6
Alter der Begräbniskapelle (Foto: J. Kruse, 2014)

In vertikaler Achse zum auferstandenen und siegreichen Christus wurde ein neuer Altar passend zu den Wänden gestaltet und mit einer Kreuzigung Christi ausgestattet. Innerhalb der neuen Gestaltung wird so mit der Bedeutung der Grablege als Altarraum und Heilsort mit größter Gnadenausschüttung gespielt: Allein dadurch schrieb man den weltlichen Fürsten ein ungeheures Maß an Sakralität und Heilswirksamkeit zu, die mit herkömmlichen Epitaphkonzeptionen nicht zu erreichen war. Die Fürsten, ergriffen zum Kruzifix gewandt, werden als unmittelbar lebendige Zeugen der Wiederauferstehung Christi vergegenwärtigt, für sich und andere Heil erbittend. Dahinter stehen neben dem auferstandenen Christus die Allegorien von Glaube (fides), Liebe (caritas), Hoffnung (spes) und Gerechtigkeit (iusticia). Sie verweisen nicht bloß auf die Tugendhaftigkeit der frommen Fürsten, sondern bilden der humanistisch-reformatorischen Auffassung folgend ein neues Heilskollegium, in das sich die Wettiner einordnen. Innerhalb dieser Komposition der Grabkapelle wirken alle figürlichen, allegorischen, heraldischen und architektonischen Elemente auf die Fürsten selbst zurück, um diese als besonders fromme, gerechte, erhabene, heilsgeschichtlich legitimierte und überzeitlich wirkende Herrscher und Heilsbringer herauszustellen.

Und zugleich erfassen und umfassen alle Elemente und Akteure auch den Raum, sodass jede nachfolgende Generation, jeder nachfolgende wettinische Fürst, der sich im Zeremoniell in den Raum begab, unmittelbar vom Programm profitierte. Er wurde als dynastischer Erbe Träger und Teil der Erzählung, Akteur in der Geschichte und Gegenwart, unmittelbarer Teil der Heilsgeschichte – nicht erst in künftiger Hoffnung auf das Heil, sondern in gegenwärtiger Gewissheit und Wirkung der Gnade Gottes.

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