Der romanische Vorgängerbau
Text: F. Naumburger
Fotos: F. Naumburger
Visualisierungen: C. Schönfelder, L. Eichler, F. Naumburger, S. Münster, M. Wachsmuth, B. Ebermann, M. Leonhardt, M. Kallauke, F. Knacker, J. Maisel
Gliederung
1. Geschichtliches
2. Erhaltene Spuren der romanischen Kirche
3. Baubeschreibung
4. Literatur
1. Geschichtliches
Stadtgründung von Freiberg
Markgraf Otto von Sachsen ließ in den Jahren 1156 bis 1162 die von Urwald bedeckte Hochfläche zwischen Mulde und Großer Striegis durch sechsundzwanzig Waldhufendörfer[1] von fränkischen Bauern besiedeln.[2] 1162 übereignete er dieses Landgebiet dem Zisterzienserorden. Nachdem man im Waldhufendorf Christiansdorf, einem Ortsteil des späteren Freiberg, 1168 Silbererz entdeckte, holte sich der Markgraf im Jahr 1169 das Gebiet durch Tausch von den Zisterziensern zurück.[3]
Doch um Erz fördern zu dürfen, bedurfte es der Zustimmung des Kaisers Friedrich Barbarossa aus Goslar. Noch im gleichen Jahr 1169 führte Markgraf Otto die Bergfreiheit nach dem Grundsatz „Wo eyn man ercz suchen will, das mag er thun mit rechte“[4] ein, von der sich der Name Freiberg ableitete. Zahlreiche Bergleute aus Goslar siedelten nach Christiansdorf über und brachten der Siedlung den Namen civitas saxonum – Sächsstadt ein. Die Haltung des Markgrafen erwies sich als außerordentlich fortschrittlich und führte ab ungefähr 1181 zu einer sprunghaften Expansion der Siedlung, die 1185 zur Stadtgründung von Freiberg führte.[5] Die Silberfunde brachten Markgraf Otto den Beinamen der Reiche ein.
Der Ursprung der romanischen Marienkirche
Der Baubeginn wird für die romanische Marienkirche ab 1180 angenommen und ist unmittelbar mit dem Sitz der markgräflichen Bergverwaltung und späteren Errichtung der Burg Freudenstein um 1210 verbunden.[6] Da die Kirche in ihrer Ausstattung alle anderen Kirchen der Stadt übertraf, spricht es für eine fürstliche Gründung. So könnte sie als Kirche des Burglehns zur Zeit des Markgrafen Otto begonnen und als Stadtpfarrkirche vollendet worden sein.[7]
Um 1400 wurde die romanische Marienkirche durch einen gotischen polygonalen Chor erweitert[8], wobei die älteren romanischen Ostwände in den Neubau als Vorraum mit einbezogen wurden. Nach dem Kirchenbrand von 1484 wurden die romanischen Westtürme abgebrochen, die Goldene Pforte an das südliche Querhaus versetzt, die neue Westturmfront nach Westen sowie die nördliche und südliche Kirchenmauer dem romanischen Vorgängerbau vorgesetzt. Nach der Fertigstellung des neuen Langhauses entfernte man die romanische Bausubstanz der kleineren romanischen Kirche.
Bautechnisch bestand der Bau aus örtlichem Gneisbruchstein sowie alle ornamentierten Bauteile und Gewände aus Grillenburger Sandstein aus dem Tharandter Wald. Eine ehemalige romanische Kirchenausmalung ist anzunehmen, aber nicht mehr nachweisbar.
2. Erhaltene Spuren der romanischen Kirche
Bis heute hat sich vom romanischen Vorgängerbau der Marienkirche nur wenig Bausubstanz erhalten. Doch die östlichen Vierungspfeiler mit deren ornamentierten Kapitellen, der Zugang zur südlichen Nebenapside mit den rahmenden Kantenkehlen und ein Dreiviertelsäulenstück als Eckdienst in der Südostecke des Querhauses sind überliefert. Auch sind die zwischen Chor und Nebenapsiden liegenden Zugänge zu den ehemaligen Wendeltreppen, die Süd- und Nordwand des Chores, mit den sich noch an den Außenseiten befindenden Rundbogenfriesen, die jetzt unsichtbar im Dachgeschoss eingebunden sind, sowie ein sich an der Westwand des nördlichen Vorchores befindendes Biforium noch anzutreffen.
Der romanische Bau besaß einen Lettner, der wohl zeitgleich mit der Goldenen Pforte um 1220 errichtet wurde. Dieses Portal diente ursprünglich den Fürsten als Haupteingang an der Westfassade. Während die Goldene Pforte zwar versetzt, doch fast vollständig erhalten geblieben ist, sind vom Lettner nur einige Reliefplatten überliefert.
Die verbliebene romanische Bausubstanz regt die Forschung bereits seit dem 19. Jahrhundert zur Rekonstruktion des romanischen Vorgängerbaus an.
Eduard Heuchler befasste sich erstmalig 1862 mit dem Vorgängerbau. Dem folgte Robert Börner und etwas später ausführlicher Otto Richter im Jahre 1921. Heinrich Magirius erweiterte in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts durch Grabungen und Mauerwerksuntersuchungen die Vorkenntnisse. Umfangreichere Informationen zum Forschungsstand finden Sie hier als PDF.
3. Baubeschreibung
Die überlieferte romanische Bausubstanz und die Forschung verweisen auf eine kreuzförmige, kreuzrippengewölbte Basilika gebundenen Systems. Der östliche Kirchenbereich erstreckte sich von einem dreiteiligen Querhaus mit sich anschließendem langgestreckten Chor und eher halbrunder Hauptapsis sowie zwei Nebenapsiden. Den Westbereich stellt man sich nach neuesten Forschungen als niedersächsischen Westturmriegel mit achteckigen Türmen vor. Unmittelbar nach der Fertigstellung der romanischen Kirche wurde eine Sakristei angefügt.
[1] „Ein Waldhufendorf ist ein Reihendorf in Rodungsgebieten, meist doppelzeilig. Der Landbesitz schließt jeweils als breiter Streifen an die Hofanlage an. Die ältesten mittelalterlichen Formen finden sich im Odenwald, am Niederrhein, in Nordwest- und Südwestdeutschland sowie im Erzgebirge und in den Sudeten.“ Aus: Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Neunzehnte völlig neu bearbeitete Auflage, Band XXIII, Us- Wej, F. A. Brockhaus GmbH, Mannheim 1994, S. 537.
[3] Als Ausgleich erhielten die Zisterzienser den Grund und Boden für einen Klosterbau in der Nähe der bischöflichen Burg Nossen vom Bischof von Meißen und gründeten dort das Kloster Altzella. Ebd., S. 33.
Stadt Freiberg, Beiträge, Band I., Werbung & Verlag, Freiberg 2002, S. 210.
[8] Magirius, Freiberger Dom, S. 104.
4. Literatur
- Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, 23. Band, Us-Wej, Mannheim 1994.
- Heuchler, Eduard: Betrachtungen über den Alterthums- und Kunstwerth der goldnen Pforte am Dome zu Freiberg, in: Stadtarchiv Freiberg, Freiberger Anzeiger und Tageblatt Nr. 271 vom 17. Nov. 1860, aus: Veröffentlichungen der Bibliothek „Georgius Agricola“ der TU Bergakademie Freiberg Nr. 136 [Hrsg.]: Eduard Heuchler, Sammlung von Zeitdokumenten aus Freiberger Beständen, Medienzentrum der TU Bergakademie Freiberg 2001, S. 147.
- Höller, Klaus: Bauliche Einflüsse zwischen Saale und Zwickauer Mulde in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in: Lutz Heydick, Uwe Schirmer und Markus Cottin: Zur Kirchen- und Siedlungsgeschichte des Leipziger Raumes, Sax- Verlag Beucha 2001, S. 47-56.
- Höller, Klaus: Kantensäulen und Kantenrundstäbe im Osten Sachsens. Bezüge und Entwicklung in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in: Burgen und Schlösser in Sachsen- Anhalt, Mitteilungen der Landesgruppe Sachsen-Anhalt der Deutschen Burgenvereinigung e. V., Heft 9 Halle/ Saale 2000, S. 84- 98.
- Jungmann, Dieter: Die Neuwerkkirche in Goslar, München-Berlin 2003.
- Krause, Hans-Joachim: Die Stiftskirche zu Wechselburg, 2. Teil, Baugestalt und Baugeschichte, Berlin 1972.
- Magirius, Heinrich: Der Freiberger Dom. Forschungen und Denkmalpflege, Weimar 1972.
- Magirius, Heinrich: Sakralbauten in Freiberg in: Yves Hoffmann, Uwe Richter (Hrsg.): Denkmale in Sachsen, Stadt Freiberg, Beiträge, Band I., Werbung & Verlag, Freiberg 2002, S. 210.
- Pätzold, Stefan: Die frühen Wettiner. Adelsfamilie und Hausüberlieferung bis 1221, Köln-Weimar-Wien 1997.
- Schlesinger, Walter: Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter. Das Zeitalter der deutschen Ostsiedlung (1100- 1300), II. Band, Köln-Graz 1962.